ACH DU DICKES EI – OSTERN IM DSCHUNGEL

Zentrales Hochland, West-Papua, Ostern 2003. Ziel unserer diesjährigen Expedition: wir wollen die Endpunkte unserer ersten beiden Touren, 1994 und 2001, nahtlos miteinander verbinden. Schaffen wir es, die Nordküste erreichen, hätten wir die Insel Neuguinea in der Nord-Süd-Achse vollständig auf dem Landweg durchquert. Es wäre eine Welt-Premiere. Es folgen original Tagebuch-Einträge.

Ostersamstag, 19. April 2003. Den Großteil der Nacht hat es geregnet. Aber im Zelt ist alles sicher, sauber und trocken. Genug Platz für uns zwei. Das gemeinsame Einrichten im Zelt und Nächtigen klappt prima. Dann Aufbruch nach Bime um 7:20 Uhr. Es geht drei Stunden nur bergauf. Ich bin ganz schön geschlaucht und muss kämpfen. Langsam, Schritt für Schritt, schleppe ich mich den Berg hoch. Habe immer so einen dämlichen Ohrwurm im Kopf (Connie Kramer). Zum Glück hat mein Lauf-Automatismus eingesetzt und ich brauche nicht zu denken. Doch nach drei Stunden bin ich völlig leer. Unser Frühstück bestand auch nur aus einem halben Apfel und sieben Keksen, Wasser und ekliger Multivitamintablette. Wir müssen dringend unsere morgendlichen Ernährungsgewohnheiten ändern.

Bei der Pause verdrücke ich ein halbe Ubi-Süßkartoffel, lutsche ein Werther’s Echte und fühle mich wieder stark. Bewusst stark ausatmend stampfe ich den Berg weiter hoch bis zum Pass. Es ist nun 11:30 Uhr. Alle Lebensgeister sind nun wieder da – von Energiemangel keine Spur. Die verbleibende Strecke nach Bime geht nur noch bergab. Wir laufen fast ohne Pause und sind um 14:00 Uhr da. Wir beziehen unsere „alte“ Holzhütte, ich begrüße ein paar bekannte Gesichter und wir ruhen uns aus. Die erste Etappe in nur sechs Lauftagen. Super Ergebnis und viel schneller, besser und billiger als erwartet. Alois und ich sind mental und körperlich voll fit. Rieseninsekt saugt Salz von meiner Hutkrempe.

Ich sitze auf meinem Ortlieb-Sack auf dem Holzboden, habe eben unsere Träger ausbezahlt, der Regen prasselt aufs Wellblechdach und ein dutzend Leute schauen mir beim Schreiben zu. Es ist schön, mal wieder viel Platz zu haben, um sich und seine Sachen auszubreiten, neu zu ordnen, die Kakerlaken aus den Küchenutensilien zu scheuchen und die von Ratten angebissenen Bananen abzuschneiden. Wir haben Platz, Zeit und Muße dafür. Wir finden auch schnell vier neue Träger für die nächste Etappe bis Borme. Der Lehrer, in dessen Haus wir nächtigen, erinnert sich gut an mich. Ich mich auch an ihn. In seiner Hütte kochen wir Tortellini mit Pilzsauce. Großer Topf voll und trotzdem ruckzuck leer gegessen. Eine überreife Papaya rundet das Mahl ab.

Die Nacht wird trotz der eigentlich optimalen Bedingungen zur Katastrophe. Im Schlafsack zu warm. Ohne Schlafsack an den Armen, Beinen und im Gesicht zerstochen. Insektenplage ohne Ende. Also nach meiner normalen Creme-Aktion Socken anziehen, T-Shirt über den Kopf mit winziger Atemöffnung, linker Arm in Schlafsackhülle, rechte Hand in Plastiktüte, drehen und wenden, zwei Mal Matte aufpusten, zwei Liter nachts trinken, weil so trocken, dann zurück in den den Schlafsack, weil zu kalt.

Ostersonntag, 20. April 2003. Wir sind schon seit elf Tagen nonstop unterwegs. Wir haben um acht Uhr morgens bereits 45 Minuten Rutscherei hinter uns. Der Weg ist anfangs relativ einfach, doch das ändert sich. Erst beginnt mein linkes Knie beim Absteigen tierisch zu schmerzen. Dann habe ich es mir zusätzlich an einem Stein aufgestoßen, das rechte Knie scheuert ohnehin an der Hose, der rechte große Zeh reibt und drückt und schmerzt, aber das ist alles egal. Nur das Knieschmerzen selbst ist lästig, weil man dadurch einseitig das andere Bein belastet und nicht mehr so sicher auf den Beinen ist. Der Weg wird auch viel schlechter. Schmal, steil und rutschig ist ja noch o.k., aber noch stark abschüssig und zugewachsen über einem Steilabhang ist echt doof. Und super anstrengend, weil man bei jedem Schritt erst mal tasten muss, ob man überhaupt festen Boden hat oder ein gähnendes Loch, das nur zugewachsen ist. Jedes Mal mit dem Stock abprüfen, Halt finden, erstes Bein, Gewichtsverlagerung, anderes Bein, rutschen, Füsse aus Lehm ziehen und weiter gehts.

Meine Hose nervt gewaltig. Ich habe zwar ein weiteres Gürtelloch gebohrt, aber trotzdem rutscht die Hose dauernd runter, oder ich ziehe sie mir in die Hinternfalte, wo sie reibt. Ich bin da schon jetzt ganz wund. Alois hat aber auch Probleme mit seiner Hose, insofern geteiltes Leid. Immer mal wieder erreichen wir einen neuen Berggrad mit spektakulärer Sicht über Berge, Täler und Flüsse. Wenn dann noch etwas Wind geht, fühlt man sich wie ein Eroberer und schaut stolz zurück auf die Berge, über die man gekommen ist. Wir erreichen nach 3,5 Stunden das Dorf Lirimi. Unsere Träger haben gehofft, dass wir dort bleiben, aber wir gehen nach einer Bananenpause gleich weiter. Dann fängt der Regen an. So laufen wir noch eine Stunde am Flussufer weiter und suchen uns dann einen Lagerplatz. Da es wohl steil hinaufgeht hat es keinen Zweck, bei Regen noch weiter zu gehen. Ab 14:00 Uhr Zeltplatz roden und Pondok-Unterschlupf gemeinsam aufbauen.

Wir sitzen auf Farnen unter der Plane um das Feuer und der Regen prasselt. Wir stopfen den üblichen Nudelpampf in uns hinein und gönnen uns noch einen heissen, süßen Tee, trotzdem sind wir hoffnungslos unterzuckert. Dann das irre Highlight. Ich weiß es noch genau genau. Plötzlich zieht Lois aus den Tiefen seines feuchten Rucksacks ein riesiges Schokoladen-Ei hervor, dass er die ganze Zeit lang unbemerkt und sorgfältig geschützt für diesen besonderen Tag mitgeschleppt hatte. Ich bin völlig perplex und hätte ihn umarmen können.

Wir zelebrieren das Auspacken und essen jedes kleine Stückchen unendlich langsam und voller Genuss. Noch nie in meinem Leben habe ich an einem so skurrilen Ort Ostern gefeiert und noch nie hat mir Schokolade so gut geschmeckt. Ein wahres Fest.