AUF HUMBOLDTS SPUREN

Kaum lese ich Birgits Buchvorstellung über Alexander von Humboldt und sofort springt mein Kopfkino an: Venezuela – Orinoco – Dschungel. Südamerika ist pures Abenteuerland! Meine erste Reise in den Amazonas machte ich im Alter von zweiundzwanzig Jahren. Auf einem Frachtkanu befuhr ich den Maroni im Westen von Französisch Guayana auf der Suche nach Wayana-Indianern. Auf dieser denkwürdigen Reise erlebte ich mein Initiationsritus im Dschungel, von dem ich euch noch im Detail berichten werde.

Zehn Jahre später kehrte ich mit Freunden zurück, um den Rio Carrao im Südosten Venezuelas an der Grenze zu Brasilien zu befahren. In der Gran Sabana liegt der eindrucksvolle Canaima Nationalpark und wir wollten den höchsten freifallenden Wasserfall der Erde, den Salto Ángel mit 979 Meter Höhe, aus der Frosch-Perspektive erkunden.

Vorbei an dampfenden Nebelwäldern, monströsen Steilwänden, türkisfarbenen Wasserfällen, malerischen Lagunen und dichtester tropischer Vegetation bewegten wir uns durch schlängelnde Dschungelflüsse, zischende Wassermassen und donnernde Stromschnellen. Gefühlt verbrachten wir mit unseren lokalen Begleitern, Pemón-Indianern, mehr Zeit im Fluss, um das Kanu durch die gefährlichen Felsen zu manövrieren, als gemütlich zwischen den Bananenstauden im Boot sitzend.

Die majestätischen Ausblicke auf die Gebirgsplateaus des Guyanas Schilds und die faszinierende Mischung aus verschiedenen landschaftlich unberührten Formen des Regenwalds liessen uns nicht los. Wir wollten mehr und versprachen uns, nächstes Mal auf den Spur des großartigen Naturforschers Alexander von Humboldt zu wandeln. Doch weitere zehn Jahre gingen ins Land, bis wir im Rahmen einer Expedition zu den isoliert lebenden Yanonami-Indianern diesen Traum realisieren konnten.

Von Puerto Ayacucho kommend, setzt uns eine wenig vertrauenserweckende Buschmaschine auf einer namenlosen Graspiste irgendwo im Süden Venezuelas ab. Im kleinen Dschungelkaff Las Trincheras am Ufer des Rio Caura chartern wir für zehn Tage einen großen motorisierten Einbaum. Unser Ziel: der Orinoco! Statt direkt auf diesem riesigen Strom zu fahren, sind wir uns sicher, dass uns ein Zufluss mehr Action bieten würde. Der Rio Caura führt mitten durch großteilig unerschlossenes Dschungeltiefland quer durch Venezuela. Ziemlich genau 200 Jahre nachdem sich Alexander von Humboldt durch diese grandiose Landschaft gearbeitet hat, scheint sich hier nichts verändert zu haben. Genau das war unsere Hoffnung.

Tage um Tage folgen wir begleitet vom monotonen Knattern des Motors trägen, braunen Fluten, nehmen Biegung um Biegung, beobachten bunte Aras und elegante Tukane, kratzen an den weißen Pusteln unzähliger Sandfloh-Bisse und freuen uns über jeden Tropfen Regen, der die brüllende Hitze etwas erträglicher macht.

Mehrfach suchen wir vergeblich auf unseren diversen Landkarten eine geeignete Durchfahrt durch dieses Labyrinth aus geheimnisvoll anmutenden Inseln, lieblichen Sandbänken, toten Seitenarmen, überflutetem Regenwald und bizarren, schwarzen Granit-Steinhaufen mitten im Fluss.

Abends fangen wir Fische mit fetten Schlickwürmern als Köder, die man auch gerne mal roh isst. Wenn dann Piranhas auf dem offenen Lagerfeuer brutzeln und sogar die elend trockenen Maniokfladen erträglich machen, bin ich glücklich. Ich schaukele in meiner Hängematte hin und her, zähle Kometen und Satelliten am unbeschreiblichen Sternenhimmel und lausche den undefinierbaren Urwaldgeräuschen.

 

Jeden Tag immer wieder Stromschnellen. Hastig wird das Boot komplett entladen und alle Ladung – Gepäck, Lebensmittel, Ausrüstung, Waffen – muss um die rutschigen Felsen der tobenden Fluten herumgetragen werden. Eine langwierige, gefährliche, extrem anstrengende Plackerei, die im Falle eines Kentern den Totalverlust zumindest minimieren würde.

Wir fahren entlang kleiner Indianerdörfer der Yekuanas und besuchen ab und zu traditionelle Siedlungsplätze der beheimateten Pemón-Indianer, da unsere Bootsmannschaft Tauschgeschäfte machen möchte.

Die Zeit verfliegt. Stundenlang starre ich fasziniert und zuckerrohr-kauend auf den dunkelgrünen, unberührten Regenwaldteppich. Die grüne Hölle – mein wild-romantisches Paradies. Genauso muss es Humboldt ergangen sein. Ich fühle mich ihm nahe.

Sechs Tage und 800 Liter Benzin später erreichen wir der totalen Erschöpfung nahe kurz vor der Einmündung des Rio Caura in den Orinoco den Ort Maripa. Endstation für unsere bei einer Felsenkollision verbogenen Schiffsschraube und damit auch für uns. Doch das nächste große Abenteuer wartet schon auf uns.