SCHILDKRÖTENINSEL ALDABRA-ATOLL

20. September 2020Auf Reisen

Vor nicht einmal einem Jahr konnte ich mir den Traum eines jeden Tier- und Naturliebhabers erfüllen. Ein Besuch der extrem abgelegenen Aldabra-Inseln ist für Schildkrötenfreunde mit Sondererlaubnis das ultimative Once-in-a-lifetime-Erlebnis, denn die imposanten Vierbeiner stehen unter strengem Artenschutz. So hat das gesamte Archipel seine ursprüngliche Flora und Fauna weitgehend bewahren können.

Aldabra ist das größte Atoll des Indischen Ozeans und das zweitgrößte weltweit. Es gehört politisch zu den Seychellen, ist jedoch mehr als 1.000 km von der Hauptinsel Mahé entfernt und liegt etwa 360 km nördlich von Madagaskar. Das unbewohnte Atoll besteht aus den vier Hauptinseln Picard, Polymnie, Malabar und Grand Terre und erstreckt sich über eine Länge von etwa  34 x 14 km, die eine ringförmige Lagune von 224 km² umschließen. Die gesamte Landfläche der 46 Inseln zählenden, auf mehrere tausend Quadratkilometer verteilten Gruppe, beträgt nur 176 km². 1982 wurde Aldabra von der UNESCO zum Weltnaturerbe erklärt.

Wir besuchten auf Picard eine kleine Forschungsstation, die von wenigen Naturwissenschaftler betrieben wird, die zum Schutze des Atolls und seiner einzigartigen Tierwelt dort leben. Die ‚Royal Society of London‘ forschte bereits ab Mitte der 1970er Jahre aktiv an der Ökologie und Biodiversität des Atolls. Die Einführung invasiver Arten wie Ziegen, Ratten und Geckos wurde verboten, seltene Tierarten wie Flamingos, Fregattvögel, flugunfähige Aldabra-Weißkehlrallen, Rotschwanztropik- und Nektarvögel, Ibisse und der endemische Aldabra-Drongos wurden gesetzlich geschützt, genauso wie die auf den Inseln heimischen Mangroven, die einen natürlichen Lebensraum für die außergewöhnliche Tier- und Pflanzenvielfalt darstellen.

Unmittelbar nach unserer Ankunft auf Aldabra begegneten uns die ersten Prachtexemplare, wegen der wir wochenlang durch den Indischen Ozean gekreuzt waren und tausende von Kilometern zurückgelegt hatten: die Riesenlandschildkröten. Die größten Carapax-Längen, mit ihrer massiven geometrischen Plattenstruktur, werden für Männchen mit 120 cm angegeben, bei maximalen Gewichtsangaben von 250 kg.

Aldabra-Riesenschildkröten können ohne Weiteres über 100 Jahre alt werden. Adwaita, ‚der Einzigartige‘, war ein Aldabra-Riesenschildkrötenmännchen und wurde um 1750 auf den Seychellen geboren. Es lebte im Zoo von Kalkutta in Indien und galt als das älteste in Gefangenschaft lebende Tier. Es starb am 22. März 2006 in Kalkutta. Die Vorstellung, was diese Schildkröte mit seiner sensationellen Lebensspanne von wahrscheinlich 256 Jahren als Zeitzeuge miterlebt haben muss, ist kaum in Worte zu fassen.

Und an diesem weltentfernten, geheimnisvollen Ort wurde mir das Privileg mehrerer ausgedehnter Wanderungen zu Teil. Gemächlich stapften die gepanzerten Echsen über die nur spärliche Vegetation des vulkangeprägten Korallengesteins des halbversunkenen Kraterrandes, den es wahrscheinlich schon vor 120.000 Jahren in seiner jetzigen Form gab. Stundenlang konnte ich das unwegsame Terrain durchstreifen, ständig auf der Spur der hart gepanzerten Kriechtiere, die jedes Fleckchen der begrenzten Landmasse für sich in Beschlag genommen hatten. Diese faszinierenden Tiere in ihrem natürlich Lebensraum so hautnah und auf Augenhöhe beobachten zu können, war mehr als nur beeindruckend.

Durch die strengen Schutzauflagen, Kontrollen und stark reglementierten Besuchererlaubnisse, ist hier die weltweit größte Kolonie wild lebender Riesenlandschildkröten mit sagenhaften 120.000 bis 150.000 Exemplare beheimatet. Auf den Galapagos-Inseln, auf denen die Riesenschildkröten ebenfalls natürlicherweise vorkommen, belaufen sich die Gesamtbestände aller zwölf Unterarten zusammen nur auf 3.000 bis 5.000 Tiere, verteilt auf über 8.000 Quadratkilometer. Das bedeutet, ein Tier hat dort durchschnittlich zwei km² zur Verfügung. Auf dem Aldabra-Atoll ist die Tierdichte jedoch über unvorstellbare 1.000 Mal höher.

Während ihre Vorfahren im gesamten Indischen Ozean weit verbreitet waren, finden man die Riesenlandschildkröten zwar noch domestiziert auf den Seychellen- und den Maskarenen-Inseln wie Mauritius und La Réunion, doch in freier Wildbahn existieren sie heute nur noch auf dem Aldabra-Atoll. Warum entkamen nur die Aldabra-Schildkröten ihrer Ausrottung? Durch die große Landentfernung abseits gängiger Schifffahrtslinien betraten im Laufe der Jahrhunderte seit ihrer Entdeckung 1511 durch portugiesische Seefahrer nur wenige Menschen das unwirtliche Stückchen Land. Die Inselgruppe war jedoch schon den Persern und arabischen Seefahrern bekannt, von denen sie ihren Namen erhielten. ‚Atoll al Chadra‘ – das bedeutet ‚grüne Insel‘ – wurden sie getauft und unter diesem Namen in die portugiesischen Karten des 16. Jahrhunderts aufgenommen. Die Urzeittiere rückten plötzlich in das Bewusstsein und den Fokus der entdeckungsfreudigen Menschen.

Die Bemühungen, Plantagenpflanzen aus Kokosnüssen, Baumwolle und Sisal anzubauen, scheiterten daran, dass es auf Aldabra keine Süßwasserquellen an der Oberfläche gibt. So bestand das Interesse der Besucher nur darin, die Schildkröten als langlebiges Lebensmittel zu erbeuten und das Atoll nicht zu besiedeln. Nur die ehrenamtlichen Forscher der Station wachen über die Inseln, die Tiere und das korrekte Verhalten der neugierigen Besucher.

Zum Glück engagierten sich schon relativ früh Wissenschaftler und Naturfreunde – darunter sogar Charles Darwin – gegen den ökologischen Raubbau und für den Schutz der Riesenschildkröten auf Aldabra, mit dem Effekt, dass ein überwiegend intaktes Biotop bis heute erhalten bleiben konnte. Die Tiere haben keinerlei natürlich Feinde und daher ist der unmittelbare Kontakt mit den Schildkröten bei aller gebotenen Sensibilität ein Erlebnis besonderer Prägung. Das Aldabra-Atoll ist ein einzigartiges Naturparadies. Es vor Naturkatastrophen, Seuchen, eingeschleppten Arten und negativen Menscheneinwirkung zu bewahren, hat oberste Priorität.