DUFT-ERINNERUNGEN / SEHNSUCHTSORTE

Birgit Gepostet am

Nun wird es schwer mit den Abbildungen, stattdessen ist die Phantasie gefragt, wenn sich zwei Sinnesorgane zu einer gemeinsamen Erinnerung verbinden: Ich rieche Orte und Plätze, und mit ihrem besonderen Duft steigen die Bilder wieder in mir auf. Früh morgens um 7:00 Uhr, es duftet nach gekühltem Fisch und nassem Asphalt, dazu ein ganz leichter Hauch von flüchtigem Parfüm, eine kleine Kopfnote von Café au Lait … Und wir sind wo?

Paris, Saint-Germain des Prés, die Straßen sind gerade mit Wasser gesäubert, das die Rinnsteine entlang fließt. Restaurants haben ihre Fische vorne auf die Auslagen gelegt, Menschen eilen zur Arbeit oder kommen gerade aus den kleinen Steh-Cafés heraus, schauen nach links und nach rechts, unentschieden, wie der Tag sich gestaltet.

Nächste Duft-Station: Es riecht warm und dumpf, ein irrsinniges Gemisch von Gerüchen nach halbverdautem Essen, schlechtem Atem, Schweiß, ein wildes Gemisch von Ausdünstungen der Kulturen. Auch hier schwebt ein wenig Deodorant in der Luft, ein verstecktes Parfüm oder davon gleich ganz viele, billige und teure. Es kommt aus dem Untergrund, und es quillt in Wolken weit hinein die schluchtartigen Straßen wie eine graue Wolke von dicht gepresstem Menschsein. Wir sind an welchem Ende der Welt?

New York, Manhattan, Metro-Stationen. Wie ich diesen Geruch liebe oder besser gesagt liebte, denn im Moment möchte ich ihn nicht einatmen. Aber damals war es ein Duft von Freiheit, unbeschwertem Großstadt-Wagemut, zu welcher Tages- oder Nachtzeit auch immer.

Comme des Garçons, Avant-garde Label aus Japan, kreiierte synthetische Düfte aus Abgase und Ähnlichem. Es wurde wie erwartet kein kommerzieller Erfolg, blieb ein provokantes Statement, für das die Designerin Rei Kawakubu bekannt ist. Abgebildet ist mein Lieblings-Parfüm No. 2, es kombiniert Weihrauch, Safranblüten, Muskatnuss, Kreuzkümmel, Leder und schweres Mahagoniholz, ein maskuliner Duft, der mich an alle Orte begleitet. Das reicht, wir brauchen keine geographischen Sehnsuchtsdüfte im Flakon, wir haben sie ja auf unserer Erinnerungsspur. Meine ist städtisch, Mailand, London, Berlin …. Wie duftet die Innenstadt von Milano? Ich versuche mir die Reisen dorthin noch einmal ins Gedachtnis zu rufen. Es ist ein Mix aus Popcorn, Jasminblüten, Lanvin, Dolce Gabbana, Espresso und der trockene dumpf-erdige Geruch von Straßenbahnen. Und Moskau? Es riecht nach mächtig, nach weit, nach altem Schnee, Zeitung und Bonbons, Weihrauch und Gucci for men.

Es fehlt Berlin, die Hauptstadt, in der ich meine Tochter Toska (23) treffe, die geschickt mit mir Underground geht, um wenig später in den Bus zu springen von Alt Moabit nach Kreuzberg. Ich habe keine Ahnung wohin genau, ich folge ihr einfach und schnuppere … Ich atme abgestandenes Bier, Knoblauch, Eintopf, feuchte Wohnungseingänge, das Leder von billigen Schuhen und das Plastik von Einkaufstüten. Berlin duftet nach Alltag, Hektik und Großstadtlichtern. Und dann gibt es eine Pizza, die duftet für mich einfach überirdisch. Das ist auch Berlin.

Zum Schluss noch den alten und neuen Sehnsuchtsort „Sylt“ mit einem überwältigenden Duft von Heckenrosen, wilden Brombeeren, es riecht nach Wind, salzigem Meer, das sich auf die Haut legt, Haar, das einem um die Nase weht. Der Geruch von Wollpullovern und Schafen in der Braderuper Heide. Ach, wie könnte ich es vergessen: der Duft von warmen Sand. Der Duft von Frühherbst, wenn der Morgen getränkt ist mit Tautropfen.

 

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