REISEN DER ZUKUNFT – 6 Fragen, Antworten Teil 1

In ihrem letzten Blog hat mich Birgit mit sechs existentiellen Fragen rund ums Reisen konfrontiert. Ich bin weder Tourismus-Experte noch Zukunftsforscher oder gar Philosoph. Insofern kann ich in drei aufeinander folgenden Blogs nur meine ganz persönliche Abenteurer-Sicht der Dinge mit euch teilen.

Frage 1: Wie wird das Reisen der Zukunft aussehen?

Zukünftiges Reisen muss anders werden. Die Zeiten des gedanken-, plan- und hemmungslosen Um-die-Welt-Jettens sind vorbei. Alles andere wäre unverantwortlich und als Resultat der Corona-Zäsur auch inakzeptabel. Wir müssen umdenken, andere Prioritäten setzen und neu handeln. Wir müssen uns bewusst machen und selbstkritisch hinterfragen, was wir woanders wirklich wollen.

Die begrenzten Ressourcen der Erde sind nicht dafür geschaffen, dass man sie als selbstverständliches Konsumgut betrachtet und entsprechend missbraucht. Unkontrollierter Massentourismus ist kein tragfähiges Konzept – weder für die Menschen noch für die Umwelt. Heutige Fernreisen sind zu billig. Sechs Tage Pauschalreise am Mittelmeer für 399 Euro all inclusive oder übers Wochenende für 15 Euro mit dem Billigflieger nach Mallorca ist kontraproduktiv. Die Zeiten von Last-Minute-Schnäppchen dürfen nicht wiederkommen, denn von Dumping-Preisen profitiert nicht mal die Tourismusindustrie. Aber sowohl die Einheimischen als auch die Umwelt müssen die Konsequenzen tragen.

Für wahres Fernweh wird es nie eine Heilungsmethode geben, aber oftmals liegt das Glück nicht in der Ferne, sondern fast vor der Haustür. Ich plädiere bei reinen Erholungsreisen für touristische Ziele, die mit Zug, Bus oder PKW erreichbar sind. Das bedeutet eine Stärkung der einheimischen Wirtschaft und eine Rückbesinnung Sehenswürdigkeiten, die auf dem Landweg erreichbar sind. Ungeachtet davon ist globale Reisefreiheit ein hohes Gut, dem eine höhere Qualität beigemessen werden muss, was einer Wertschätzung bedarf, die neu überdacht werden muss. Das hat seinen Preis, den ich persönlich gerne bereit bin, zu bezahlen.

Der Autor am Goldenen Tempel von Amritsar, Pakistan, 1989

Frage 2: Was können wir von den indigenen Völkern lernen?

Das Zusammenleben aller indigenen Völker folgt klaren gesellschaftlichen Regeln. Ein paradiesischer Schwebezustand in Freiheit und in immerwährender Idylle, wie so mancher Reisende sich z.B. die Südsee vorstellt, ist ein romantisch-verklärter Mythos. Die Lebensbedingungen im Dschungel oder auf den scheinbaren Inseln der Glücksseligkeit irgendwo im Pazifik sind viel härter und die sozialen Gefüge fragiler als es auf den ersten Blick erscheint. Das Überleben funktioniert nur, wenn nach einem vorgegebenen Gemeinschaftsgedanken gelebt und gearbeitet wird. Das betrifft z.B. die klar strukturierten und vorgegebenen Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten für Kinderbetreuung, Feldbau, Viehzucht oder Jagd.

Zu Besuch in einem Mucawana-Dorf im Süden Angolas, 2016

Der in westlichen Gesellschaften stark ausgeprägte Wunsch nach Individualität muss bei allen indigenen Völkern dieser Rollenerwartung unterordnet werden. Trotzdem haben mich viele der für uns fremden Verhaltensweisen tief beeindruckt.

Stammeshäuptling der Shuar, Equador, 1996

Am nachhaltigsten kommt mir die unglaubliche Gastfreundschaft in den Sinn, die mir hundertfach überall auf der Welt als völlig Fremden entgegengebracht wurde. Was ich bei den Shuar in Equador, den Karo in Äthiopien oder den Mek in Indonesien an unvoreingenommener Neugier, Toleranz und Hilfeerlebt hatte, ist überwältigend.

Zu Gast bei den Iban-Dayaks in Borneo, Indonesien, 1991

Können wir von indigenen Völkern etwas lernen? Fasziniert hat mich immer deren ganz natürlicher Gemeinschaftssinn. Ich wurde schon so oft ohne Misstrauen, ohne Hintergedanken und ohne Scheu aufgenommen in Familien, die mir ganz selbstverständlich und ohne Bezahlung Schutz, Nahrung und Hilfe anboten. Was wir derzeit an Solidarität erleben, sollte normal sein und nicht die Reaktion auf einen Ausnahmezustand. Allgemeine Aufmerksamkeit und Rücksichtnahme, herzliche Kontakte zu Nachbarn, die man früher kaum wahrgenommen hat, sorgfältiges miteinander Umgehen ohne Eigennutz. Ich entdecke bei anderen und auch bei mir selbst im Alltag überraschend selbstlose Wesenszüge, die vorher in einer relativ krassen Ich-Bezogenheit fast untergegangen sind. Dieses zwischenmenschliche Denken und Handeln wieder neu zu entdecken, ist ein richtig gutes Gefühl und hat für mich einen hohen Wert, den ich mir versuche, auch jenseits von Corona-Zeiten zu bewahren.