RIKSCHA-KUNST IN BANGLADESH

Es war Liebe auf den ersten Blick. Als ich zum ersten Mal die Hauptstadt Dhaka, diesen unvorstellbar stinkenden und verstopften Moloch von ca. 15 Millionen Einwohnern, betrat und diese unglaublichen Gefährte zu Gesicht bekam, war es um mich geschehen. Die Fahrradrikschas von Bangladesh sind die farbenprächtigsten, schillernsten und verziertesten Fahrzeuge auf der ganzen Welt. Allein in der Metropole Dhaka beherrschen bis zu einer halben Million dieser unorthodoxen Fahrrad-Taxen den chaotischen Verkehrsdschungel. In so einer Umgebung fühle ich mich richtig wohl.

Jedes noch so alte Gefährt ist liebevoll bemalt und mit zahllosen kunterbunten Schnörkeln versehen. Jedes freie Fleckchen, ob am Rohrgestänge, auf Rädern oder auf dem Klappverdeck, wird mit neonfarbenen Plastikrüschen und glänzenden Folienblümchen verziert. Die Trittbretter sind mit ziselierten Silberblechen und -nägeln verkleidet, die Sitzpolster mit aufgenähten Applikationen geschmückt. Die Farbenpracht, Materialvielfalt und Formenkreativität ist eine unglaubliche Inspiration und macht Lust, auch deutsche Gefährte entsprechend zu pimpen.

Ich sitze wie ein kleiner König zwischen farblich überbordenden Kitsch-Dekorationen am Lenker wie Fähnchen, Windräder oder Mini-Spiegel und lasse mich durch das abenteuerliche Straßengewühl kutschieren. Überall um mich herum ist buntes Klebeband und blinkende Metallfolien, die wie lustige Reflektoren zwischen den rostigen Speichen flattern. Im Kombination mit dem Ächzen des Rahmens, dem Quietschen der Reifen, dem Dauerklingeln und Stöhnen des Fahrers ist die wilde Fahrt wie immer auch ein akustisches Gesamterlebnis, das alle Sinne in Anspruch nimmt.

Unmittelbar vor mir quälen sich unzählige Rikschas zwischen den stinkenden LKWs und verbeulten Bussen hindurch. Die farbenprächtigen Holz- oder Blechplatten auf den Rückseiten sind wahre Fantasiegemälde. Sie spiegeln die Wünsche und Sehnsüchte der Künstler oder Auftraggeber wieder. Blühende Naturlandschaften voller Vögel und Blumen wechseln sich ab mit mythologischen Symbolen, religiösen Motiven wie Moscheen oder Minaretten, gepaart mit frommen Sprüchen und glückverheissenden Suren. Man findet auch viele traditionelle Symbole wie zähnefletschende Tiger direkt neben westlichen Sehenswürdigkeiten als Reiseziel und materiell unerreichbare Besitztümern wie Fantasie-Sportwagen oder übergroße Villen. Ich kann mich nicht sattsehen. Wie toll, hier Teil einer kulturell einzigartigen Kunstgalerie im öffentlichen Raum zu sein.

Richtig begeistern kann ich mich für die kitschig-übertriebenen Bilder populärer Filmstars aus Bollywood-Filmen mit testosteronstrotzenden Motiven. Diese kuriose Mischung aus künstlerischer Gestaltung, Kommerz und Individualität des Künstlers begann in den 1950er Jahren und entwickelte sich schnell zu einer besonderen Form der Volkskunst, die ihren Höhepunkt in den späten 70ern und in den 80er Jahren erreichte. Ursprünglich war diese beeindruckende Kunstform ein öffentlicher Ausdruck der gesellschaftlich unterdrückten, ärmeren Bevölkerung Bangladeshs.

Die echte, handgemalte Rikscha-Kunst ist heutzutage leider ein aussterbendes Kunsthandwerk auf Rädern, die durch moderne Siebdruckmöglichkeiten mehr und mehr verdrängt wird. Umso schöner sind die Momente, mit einem Fahrer über die Qualität seiner bemalten Rikscha zu philosophieren und mir die üppige Dekoration seines original verzierten Gefährts mit unverhohlenem Stolz präsentieren zu lassen.

Als großer Fan traditioneller, mit Menschenkraft betriebener asiatischer Fortbewegungsmittel fahre ich, wann immer es geht, für eine handvoll Taka durch das unvergleichliche Farbenmeer von Dhaka. Und sollte ich mal nicht in Asien sein, so schwinge ich mich im Sommer auf meine eigene Rikscha, die wie ein kleiner bunter Zirkuselefant aussieht und natürlich aus Bangladesh stammt.