DIE LIEBE IN DEN ZEITEN DER CHOLERA

Birgit Gepostet am

Ironischer Weise gehöre ich als Co-Autorin eines „Reise“-Blogs zu jenen, die wenig reisten, und wenn ja, dann immer nur zu den ausgewählten Orten der Mode wie Mailand, Florenz, Paris, London, New York oder Moskau. Es war bei mir in der Vergangenheit mehr die Sehnsucht nach dem Abenteuer als das Abenteuer selbst. Und so bilde ich gerade jetzt, wo wir alle nicht reisen können, den Gegenpart zu Christian mit meinen nachdenklichen, manchmal literarischen Beiträgen.

Gabriel García Márquez (1927 – 2014)

Erneut geht es um ein Buch, das auf so ungewöhnliche Weise in diese Zeit hineinpasst, und selbst wer es schon gelesen hat, sollte es sich erneut hervorholen: Die Liebe in den Zeiten der Cholera, von Gabriel García Márquez, 1985 veröffentlicht mit dem Titel „El amor en los tempos del coléra“. Márquez, der drei Jahre zuvor den Nobelpreis für Literatur erhielt, stammt aus Kolumbien und dort spielt auch der Roman. Wenn Christian ihn lesen würde, könnte er sicherlich etwas zu den Namen der Orte sagen und schnell hätte er die Stadt, die gemeint ist, in seinem Fadenkreuz der Erinnerungen. Für mich ist es nur „die Stadt“ am Meer, stellvertretend für so viele andere, und Schauplatz für eine der schönsten Liebesgeschichten der Welt.

Abb: Foto Christian Rommel. Die Stadt, die in dem Buch an keiner Stelle genannt wird, heißt Cartagena.

Die Geschichte beginnt im ausgehenden 19. Jahrhundert. Der junge Florentino Ariza, uneheliches Kind aus einfachen Verhältnissen, verliebt sich in die schöne Fermina Daza. Es entspannt sich vor allem von seiner Seite eine glühende Schwärmerei, die mehr aus Briefen als aus Begegnungen besteht. Bald ist beiden klar, dass sie füreinander bestimmt sind, aber die gesellschaftlichen Unterschiede und der ehrgeizige Wille ihres Vaters stehen dem entgegen. Während sie verreist, bleibt er am Ort, krank vor Liebe. Als sie zurückkehrt entscheidet sie sich gegen den heimlichen Verlobten und akzeptiert die Avancen des jungen renommierten Arztes Juvenal Urbino aus einer reichen alten Familie.

Márquez gelingt es in der Schilderung beider Leben, den Geist von gesellschaftlichen Normen und südamerikanischem Leichtmut zu entfalten. Während sich Florentino ganz der stellvertretenden Liebe mit permanent wechselnden Frauen hingibt, versucht Fermina sich mit der unterkühlten Enge des gleichzeitig schillernden extrovertierten Ehelebens zu arrangieren. Jede Zeile atmet die schwere Luft der stickigen Stadt in der Karibik. Die stinkenden Kloaken, die verschmutzen Hafenbecken, der verseuchte Böden der Märkte, die Brutstätten der Cholera, sie geben der Handlung ihr einzigartiges irritierendes Kolorit. Über allem schwebt die Angst vor der Ansteckung und dem Tod.

Abb. Foto Christian Rommel. Cartagena heute, eine wunderschöne Stadt, die er in der Vergangenheit schon mehrfach besuchte.

Viele Stellen könnte ich zitieren, wie Márquez beispielsweise die Umweltsünden anprangert, oder wie Florentino seine Liebesbriefe für andere formuliert, die feinfühlige Beschreibung des Alterns. Aber ergreifend sind die letzten beiden Seiten. Und obwohl ich dann das Ende verrate, liest sich das Buch mit diesem Wissen noch intensiver: Die beiden haben sich als Liebende am Schluss ihres Lebens auf dem Flussdampfer (die Gesellschafter gehört mittlerweile Florentino) gefunden. Um diese Liebe jedoch leben zu können, dürfen sie nicht wieder an Land gehen, sie brauchen die Distanz von der Gesellschaft.

Und so sagt Florentino zu dem Kapitän: „Wir fahren geradeaus, immer weiter geradeaus, zurück nach La Dorada.“ … Und der Kapitän zieht die gelbe Flagge der Quarantäne, damit kein anderer an Bord kommen konnte. „Dann schaute er Florentino Ariza an, sah seine unerschrockene Liebe und erschrak über den späten Verdacht, dass nicht so sehr der Tod, vielmehr das Leben keine Grenzen kennt.“

Auf die Frage: „Und was glauben Sie, wie lange können wir dieses Scheiß-Hin-und-Zurück durchhalten können?“ muss Florentino nicht lange überlegen:

„Das ganze Leben“, sagt er.

 

 

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