Vor wenigen Tagen veröffentlichte ich in meinem eigenen Lifestyle Blog einen Beitrag über den „Land Art“ Künstler Richard Long, den ich anlässlich seiner Ausstellung 1991 bei Rudolf Zwirner in Köln kennenlernte. 1945 in Bristol geboren, ist er einer der jüngsten Concept Artists der 1970er Jahre, die wie Joseph Beuys, Franz Erhard Walther oder Walter De Maria den Begriff der Kunst in den Raum, die Zeit und die Handlung ausdehnen. Ein gutaussehender, sportlicher Typ mit einer außergewöhnlichen Präsenz, der mich so liebevoll zugewandt mitnahm in seine Welt des Gehens und Wanderns, aus der seine Kunst entsteht.
Während ich über Long schrieb, schweiften meine Gedanken immer wieder ab zu dem Abenteurer Christian. Weswegen es auch an dieser Stelle einen Bericht gibt, allerdings mit einem anderen Vorzeichen: Welche Übereinkünfte gibt es zwischen dem Extrem-Reisenden und dem Künstler? Wo trennen sich die ursprünglichen Naturerfahrungen aufgrund der unterschiedlichen Intentionen von Abenteuer und Kunst? Wer hinterlässt welche Spuren?
Anne Seymour, ehemalige Kuratorin der Tate Modern in London, sagt über Richard Long, dass er bei seinen Wanderungen viele Gestalten einnimmt, die „des Reisenden, Forschers, Pilgers, Schamanen, Zauberers, Poeten, Bergwanderers und schließlich die eines ganz gewöhnlichen Zeitgenossen aus Bristol“. Welche Gestalten besitzt der Abenteurer?
Der Künstler saß damals neben mir, oder besser ich neben ihm,und intuitiv spürte ich, dass dieser Abend mich ein Leben lang begleiten wird. Er erzählte, wie er behutsam Holzstückchen oder Steine sammelt, die er zu archaischen Formen wie Kreisen oder Linien legt, in der Landschaft oder übertragen in den Räumen der Museen und Galerien rund um den Globus. Zuerst sah ich seine Arbeiten in New York im Guggenheim Museum. Ohne viel von Long zu wissen, war mir umgehend klar, dass sich hier Mensch und Natur zusammenfügen, beide sind abwesend, aber in diesen geschichteten Steinen haftet ihre ganze Präsenz. Wie empfindet der Abenteurer, wenn er in der Natur ist oder davon erzählt?
Richard Long gefällt die Art, wie ich mich sinnlich und instinktiv seinem Kunstbegriff nähere. Er verabscheut die intellektuelle Überhöhung. Die Dinge sind das, was sie sind. Aber dafür braucht es eine außergewöhnliche künstlerische Sensitivität, um aus dem freigeräumtem Weg eine archaische Linie mit einem Kraftfeld werden zu lassen. Sein Kreis im Sand verliert sich in der Unendlichkeit.
Was in der Malerei die Leinwand, ist für Richard Long der Erdboden als Anfang und Ende im übertragenen Sinne. Es ist ein Schlüsselbegriff seines Werkes, genauso wie der Weg und die Spur. Hier hinein drückt er mit den Absätzen seiner Stiefel (Walking Line) die Markierung oder legt darauf die gesammelten Äste im Kreis. Wie Christian betritt er die „weißen Flecken“ und schafft sich seine eigene Landkarte. Er wird zu einem Kartograph des Innen und Außen. Seine Notizen der Wanderungen schreibt er sofort mit schneller Hand auf, hält die Fakten fest und verknüpft sie mit spontanen Gedanken. Sind die Beiden sich dabei ähnlich?
Christian besitzt ein Gespür für den Dschungel, wie er immer sagt. Er begegnete Schamanen und Vogelmenschen. Er vertraut sein Leben den Mitgliedern eines fremden Stammes an, die ihn durch die Wildnis führen. Die größte Bedeutung für ihn besitzen seine Expeditionen nach West-Papua. Welche Spuren hinterlässt er dort, wo der Boden eine Überlagerung von Vegetation ist. Keine? Ist die Reise unterbewusst gerade deswegen gewählt?
„Meines Erachtens ziehe ich meine Kraft aus dem Unterwegsein, bei dem die Welt an mir vorbeizieht“. (Richard Long) – Was würde Christian dazu sagen, ich frage ihn konkret. Er ist kein Künstler, aber ich unterstelle ihm die tiefe Verbindung zu den Ursprüngen von Natur und Mensch.
Christian: „Anders als Richard Long hinterlasse ich keine Spuren in der Natur, sondern folge ihnen. Ich orientiere mich an der natürlichen Linienführung von Flussläufen, Bergrücken oder auch Baumstämmen. Man muss die Natur lesen können, sie verstehen, sich ihr anpassen oder gar unterordnen. Als Resultat hinterlässt die Natur Spuren auf und in mir.“
Er folgt den indigenen Fremden, die seine Sprache nicht sprechen, wie sie ihre für westlichen Augen unsichtbaren Wege gehen. Er tritt in ihre Fussabdrücke. Anders als Long schafft er daraus keine Werke, die sich nach New York oder wohin auch immer übertragen lassen. Er behält eine Erinnerungsspur, die sich vermitteln kann aber nicht muss. Oder doch, als Erzähler?
Christian und ich stehen uns auf unterschiedlichen Seiten gegenüber. Wir beide lieben es zu gehen, er durch die möglichst unberührte Natur, ich durch die Phantasie und Gedanken. Richard Long bildet die Schnittstelle als Künstler zwischen Mensch und Natur.
Richard Long wanderte durch entlegene Gebiete rund um die Welt, im Himalaya, der Sahara, Südamerika, durch das Dartmoor von South Wales, durch Texas und Bolivien … Seine Arbeiten sind in den bedeutenden Museen zu finden und haben über die Jahrzehnte nichts an ihrer Faszination verloren. Sie besitzen die Aura von Ewigkeit, so wie alle wichtigen Werke der Kunstgeschichte.
Titelbild: Richard Long, Circle in Africa, Mulanje Mountain, Malawi 1978