VON DER NÄHE UND DER TIEFE. HELGOLAND

Birgit Gepostet am

In diesen sehr besonderen Zeiten muss man erfinderisch sein, was das Reisen anbelangt. Entweder kann man auf einen „Fundus“ schon erlebter Fahrten zurückgreifen, so wie Christian, der die noch ferner gewordene Ferne einem nah werden lässt. Oder die Reise geht in unerwartete Dimensionen und wird dadurch auf andere Weise wundersam und exotisch.

Wir sind nah dran an unserem Sehnsuchtsort, das gilt als erstes festzuhalten. Von uns Norddeutschen (Hamburg) sind es schlappe 150 km Luftlinie bis zu der Insel im Meer. Auf der Zeitlinie geht es 161 Jahre zurück. In der Vertikalen sind es, was die Hauptdarsteller anbelangt, so um die 50 Meter, die täglich wandernd von oben nach unten bewältigt werden.

Abb: Gruppenaufnahme mit den Meeresbiologen Dr. Anton Dohrn, Dr. R. Greef,Prof. Dr. Ernst Haeckel, Dr. Salverde und Dr. Pietro Marchi auf Helgoland 1865

Spannend genug? Ich finde schon. Die Rede ist von a.) Helgoland, der kleinen Felseninsel vor der Elbmündung, b.) dem Mediziner und Zoologen Ernst Haeckel (1834 – 1919) und seiner ersten Reise dorthin, sowie c.) den Medusen und Radiolarien (Einzellern), die er dort erforschte. Der junge Haeckel fuhr mit seinem Förderer und Vorbild, dem Zoologieprofessorer Johannes Müller, 1859 das erste Mal nach Helgoland, das gerade für den Tourismus erschlossen wurde.

Abb: Helgoland um 1860.

Die beiden Wissenschaftler bauten sich ihre Catcher aus Metallstäben und Seidenstrümpfen und begannen mit dem Studium der ältesten Tierwesen unserer Erde: den Medusen und Einzellern. Den wichtigsten Anstoß dafür gab die soeben veröffentliche Evolutionstheorie von Charles Darwin („The Origin of the Species“, 1859)

Seither ließen Ernst Haeckel die Quallen und Radiolarien nicht mehr los. Helgoland wurde zum Startpunkt für eine der bedeutendsten und innovativsten Forschungen zu den Ursprüngen des Lebens. Intuitiv erfasste der junge Mann mit dem Catcher, dass sich in den Micro-Organismen die ganze Fülle des Lebens offenbart. Es gelang dem Multitalent in der Natur nicht nur die grenzenlose Schönheit zu entdecken, sondern sie auch in den „Kunstformen der Natur“ für ein große Publikum künstlerisch wiederzugeben.

Gleichzeitig stemmte er sich gegen eine Epoche, in der die Schönheit einem Denken der Effizienz weichen sollte, in der die Erkenntnis und ihre Beherrschbarkeit zur Obsession wurden. Die ästhetische Krise fiel mit der Krise der Wahrnehmung der Natur zusammen.

Abb: Seidentuch mit den Medusen des Ernst Haeckel, produziert für die aktuelle Edition von Roma e Toska, 2020/21.

In diesem Beitrag geht es weniger um Helgoland als die Insel, auf der täglich die Touristen anlanden (knapp 400.000 pro Jahr), um einmal die Lange Anna zu sehen, ein Krabbenbrötchen zu essen und vielleicht mit dem Boot eine Kegelrobbe zu entdecken. Helgoland wurde durch Ernst Haeckel zu einem Synonym für eine Reise in die Tiefe des Meeres zu den Ursprüngen von Leben. Die Meeresbiologische Anstalt in Helgoland, 1892 gegründet, gehört zu den renommiertesten Forschungszentren für Meeresbiologie.

Abb: Der Taschen Verlag hat zu seinem 40. Jubiläum in diesem Jahr das große Werk von Ernst Haeckel noch einmal in einer kleiner Ausgabe veröffentlicht.

 

 

 

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